Seit ich Kontakt zur „Araberszene“ habe, also ca. seit Ende der 90er Jahre, gibt es immer wieder Stimmen, die die Abschaffung der verpflichtenden Körung und Leistungsprüfung im Jahr 1989 für Zuchthengste der Rasse Vollblutaraber dafür verantwortlich machen, dass es zum Einen zuviele „schlechte“ Araber auf dem Markt gibt, dass der Markt „kaputt“ ist und dass der Ruf des Vollblutarabers unter Reitern aller anderen Rassen überwiegend schlecht ist.
Dieser Ansatz erscheint mir zu einfach, ich bin hingegen davon überzeugt, dass es viele verschiedene Gründe für die aktuelle Situation in der Vollblutaraberzucht gibt.
Mein Gedankengang beruht insbesondere auf der Geschichte der Vollblutaraberzucht in Deutschland.
1945 bis Ende der 60er Jahre
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges gab es nur noch wenige Vollblutaraber in Deutschland. Da waren die Pferde in Marbach, die den Krieg überlebt hatten, sowie ganz wenige Pferde in Privatbesitz. Einige wenige Pferde hatte es durch Kriegswirren nach Deutschland verschlagen und konnten von Liebhabern erworben werden. Ende der 40er Jahre entstanden die beiden Gestüte Achental und Lütetsburg auf der Basis von Marbacher und Babolnaer Blutlinien.
Pferdehaltung war teuer, Pferdezucht war exklusiv. Die Menschen hatten andere Sorgen, sie mussten erstmal satt werden. Dementsprechend wurde wenig gezüchtet, schließlich musste die Nachzucht auch untergebracht, aufgezogen und gefüttert werden. Als Beispiel möchte ich die Stute Sarolta und ihre Nachkommen anführen: Sarolta hatte nur 3 Fohlen (Sabha 1945 Entress, Salifah 1952 und Sahib 1953, beide Lütetsburg). Heute wäre es undenkbar, dass eine Zuchtstute die meiste Zeit ihres Lebens leer bleibt. Auch ihre Töchter und Enkelinnen hatten nur wenige Fohlen, meisten um die 5 bis 7.
In den 50er Jahren kamen die ersten Ägypter, vor allem die drei Halbbrüder Hadban Enzahi, Ghazal und Kaisoon nach Deutschland. Diese prägten sowohl die Zucht als auch das optische Empfinden deutscher Araber-Liebhaber in sehr hohem Maße.
Auch wenn Achental und Lütetsburg eine gewisse Bedeutung erreichten, war das Zentrum und die Quelle für die meisten Araber in dieser Zeit Marbach.
Pferde im allgemeinen und Araber im Besonderen waren in diesen Jahren teuer und exklusiv. Pferdehaltung fand so gut wie ausschließlich in Reitställen statt, die Unterhaltskosten waren dementsprechend hoch.
70er und 80er Jahre
Ab Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre fand eine grundlegende Umwälzung statt.
Es entstanden zahlreiche private Zuchten, der Pferdebestand stieg deutlich an und es wurden Pferde aus dem Ausland importiert.
Als einige wenige Beispiele möchte ich erwähnen: Von Kameke und Tiemann begannen ihre Zucht im Pferden aus Marbach. Ostenfelde wurde auf der Basis polnischer Importe gegründet. Om el Arab gründete mit spanischen Stuten und dem Reinägypter Shaker el Masri den „golden Cross“. Ismer übernahm Pferde aus Achental, die nach der Auflösung des Gestütes nicht mit nach Südamerika genommen wurden. Henry Garde und Prof. König begannen auf der Basis russischer Importe ihre Zucht.
Die Importe stammten alle aus konsilidierten Zuchten, in der Regel aus staatlichen Gestüten, und hatten eine hohe Qualität (selbst wenn sie aus Sicht der Verkäufer nur 2. Wahl waren). Gleiches gilt für die Pferde, die aus Marbach kamen.
In dieser Zeit habe ich angefangen Reiten zu lernen. Ich besuchte den Reitunterricht in verschiedenen Reitställen /-vereinen. In jedem dieser Ställe stand in einer Eckbox ein kleiner, schneeweisser Vollblutaraber-Hengst. Vom Personal und anderen Privatpferdebesitzern wurde dieser Hengst dann immer als „wild“, „gefährlich“ und „nicht händelbar“ beschrieben. Der Ruf des Arabers war schon damals keinen Deut besser als heutzutage.
Die erste Körung für Vollblutaraber fand 1975 oder 1976 statt – ich habe dazu unterschiedliche Informationen gefunden. In diesem Zusammenhang wurde auch die verpflichtende Hengstleistungsprüfung eingeführt.
Im Laufe der 70er und erst recht in den 80er Jahren wuchs der Wohlstand in Deutschland erheblich. Mehr Menschen konnten sich den Reitsport und bald auch ein eigenes Pferd leisten.
Durch diesen wachsenden Wohlstand und die neu gegründeten Gestüte stieg die Anzahl an Pferden allgemein und der Vollblutaraber insbesondere merklich an.
Ab Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre verstärkten sich dann auch die Beziehungen zu anderen Züchtern in Europa. Der Austausch von Pferden wurde intensiviert und auch das Geschäft mit den USA kam in die Gänge. Durch die steuerliche Regelung dort (Pferdezucht konnte steuerlich abgesetzt werden) boomte der USA-Markt, viele Hengste wurden für Unsummen syndikatisiert und die Decktaxen erreichten astronomisch Höhen. Auch deutsche Züchter profitierten von dieser Entwicklung.
Trotzdem blieb der Vollblutaraber lange Zeit ein exklusives und besonderes Pferd.
Das Show-Wesen fand in den 70er Jahren seinen Anfang und wurde in den 80er Jahren ausgebaut. 1978 fand die große, internationale WAHO-Show in Hamburg statt.
In der Landwirtschaft ergab sich im Laufe der Jahre eine zunehmende Konzentration auf weniger und größere Betriebe. Konnte ein Landwirt Anfang der 70er Jahre noch mit 20ha einen Vollerwerb führen, benötigte er Ende der 70er Jahre bereits das doppelte. In den 80er Jahren ging der Trend dann hin zu mindestens 100ha bewirtschaftete Fläche für einen Vollerwerbsbetrieb.
Bedingt dadurch wurden Höfe aufgegeben, die landwirtschaftlichen Flächen verkauft oder verpachtet und der Resthof zum Verkauf angeboten. Somit ergab sich zunehmend die Möglichkeit, einen eigenen Hof zu erwerben um dort – preisgünstiger als im Reitstall und nach eigenen Vorstellungen – Pferde zu halten und zu züchten.
1989
Warum widme ich diesem Jahr einen eigenen Abschnitt?
Es war ein Jahr des Umbruchs.
Der VZAP schaffte die Verpflichtung der staatlichen Körung und Hengstleistungsprüfung für Vollblutaraber-Hengste wieder ab. Ab sofort durfte jeder Hengst auf Wunsch seines Besitzers zur Zucht eingesetzt werden.
In den USA wurden die Steuervergünstigungen für Pferdezucht komplett gestrichen. Innerhalb weniger Jahre ist der Pferde-Markt (über alle Rassen hinweg) dort komplett zusammengebrochen.
Und last but not least: der eiserne Vorhang fiel. Mit Blick auf die arabischen Pferde hatte dies vor allem zur Konsequenz, dass der Import von Pferden aus Osteuropa, insbesondere Polen, massiv vereinfacht und verbilligt wurde. In der Folge kamen vor allem angerittene Wallache aus den polnischen Staatsgestüten zu konkurrenzlos niedrigen Preisen in Deutschland auf den Markt. Dieses Geschäftsmodell hat sich bis heute erhalten.
War die Anzahl der Zuchtpferde in Deutschland in den 20 Jahren zuvor schon stark angestiegen, konnten jetzt alle Hengste eingesetzt werden, wenn der Besitzer es wünschte.
Der lukrative Export von Pferden in die USA fiel weg.
Preiswerte (billige) Pferde von teilweise guter Qualität wurden von Importeuren hier in Deutschland zu „Schnäppchenpreisen“ angeboten.
1990 bis heute
Die Anzahl der Volllblutaraber in Deutschland wuchs weiterhin stark an.
Immer mehr Menschen leisten sich ein eigenes Pferd. Wer eine Stute kaufen konnte, begann meistens umgehend damit zu züchten. Jedes Stutfohlen ist eine potentielle Zuchtstute.
Vielen Züchtern fehlt aber das Know-How und das Hintergrundwissen, welches in staatlichen Gestüten konsolidiert ist. Somit wird teilweise mit Pferden gezüchtet, die in einem staatlichen Betrieb aufgrund des Wissens und der Erfahrungen nie in die Zucht gegangen wären.
Es entwickelte sich ein Markt „Züchter züchten für Züchter“. Pferde wurde nicht gekauft um sie zu reiten, zu showen oder einfach nur lieb zu haben. Sie wurden gekauft, um selber eine möglichst lukrative Zucht aufzubauen. Somit entwickelte sich ein regelrechtes Schneeballsystem, welches früher oder später zusammen brechen musste.
Der Markt hat sich nicht dementsprechend weiter entwickelt.
Der Markt für Pferde im Allgemeinen und Vollblutaraber im Besonderen ist seit langem gesättigt.
Ab der Jahrtausendwende haben die Nationen im mittleren Osten das arabische Vollblut (wieder) entdeckt. Potente Käufer aus der Region haben im großen Stil und für viel Geld Pferde in USA und Europa gekauft. Viele Züchter sind der Versuchung erlegen und haben ihre besten Pferde verkauft. Dies war der Qualität der Zuchtbasis hier in Deutschland sicherlich nicht zuträglich. Inzwischen ist dieser Mini-Boom lange abgeflaut, „die Scheichs“ züchten selber und treten mittlerweile mit hervorragenden Pferden selber als Verkäufer und somit als Konkurrenz auf. Zu einem nicht unerheblichen Teil stehen die Zuchtstuten in Europa und auch in Deutschland, somit werden die Fohlen auch hier geboren, registriert und ggfls. auch angeboten.
Obwohl die Anzahl der eingetragenen Zuchtpferd sowie der Fohlengeburten bereits seit Jahren schrumpft, übersteigt das Angebot an arabischen Pferden nach wie vor die Nachfrage.
Immer noch wird mehr gezüchtet, als verkauft werden kann.
Körung und Hengstleistungsprüfung
Bis in die Mitte der 70er Jahre gab es für Vollblutaraber KEINE Körung und KEINE Hengstleistungsprüfung!
Es gab auch zuvor schon Hengstbesitzer, die ihre Hengste freiwillig zur Hengstleistungsprüfung geschickt haben.
Die erste Körung für Vollblutaraber fand 1975 oder 1976 statt – ich habe dazu unterschiedliche Informationen gefunden. In diesem Zusammenhang wurde auch die verpflichtende Hengstleistungsprüfung eingeführt.
1989 wurde die Verpflichtung zu Körung und Hengstleistungsprüfung wieder abgeschafft, seitdem kann ein Hengst auf freiwilliger Basis beides durchlaufen. Nur für Vollblutaraberhengste, die für die anderen Rassegruppen (arabisch Partbred, Anglo-Araber, Shagya-Araber etc.) eingesetzt werden sollen, ist beides nach wie vor verpflichtend.
Somit gab es in der gesamten Geschichte der Vollblutaraberzucht in Deutschland zwischen 1945 und heute (2017) nur maximal 15 Jahre, in denen eine Körung und Hengstleistungsprüfung für Vollblutaraber verpflichtend war.
Persönliches Fazit
Die Abschaffung von Körung und Hengstleistungsprüfung in der Vollblutaraber-Zucht für die Probleme bei der Zucht und Vermarktung arabischer Pferde verantwortlich zu machen, erfasst nur einen sehr kleinen Teilaspekt.
Der weitaus wesentlichere Aspekt ist meines Erachtens nach, dass wir einfach zu viele Pferde auf dem Markt haben. Dies gilt nicht nur für Vollblutaraber, sondern über alle Rassen hinweg.
Auch haben wir nach wie vor zu wenige Züchter, die Pferde ohne Zuchtqualität konsequent aus der Zucht aussortieren.
Es gibt keine beliebig große Menge an Pferde-Liebhabern, die man für einen Vollblutaraber begeistern kann. Dafür ist diese Rasse aufgrund ihrer Größe, ihrer Persönlichkeit und ihres Charakters zu speziell. Der zugehörige Mensch muss über ein entsprechendes Einfühlungsvermögen verfügen und sich auf die Sensibilität und Intelligent des Arabers einlassen. Auch muß er die Größe (Zuchtziel ist 1,48m bis 1,58m) lieben und schätzen. Der Vollblutaraber ist somit kein Pferd für Jedermann.
Darüber hinaus haben wir in Deutschland zu keiner Zeit eine echte Leistungszucht geführt, so wie man sie z.B. aus Frankreich oder zum Teil aus Polen kennt. Es gibt keine Rennszene, wie sie ihre Ursprünge in Frankreich schon vor 1945 hatte (der umstrittene St. Laurent wurde 1948 geboren!). Auch gab es in Deutschland keine mit Frankreich vergleichbare Distanz-Szene.
Berücksichtigen muss man auch, daß Deutschland DAS Zuchtgebiet für Warmblüter ist. In keinem anderen Land ist die allgemeine Reiterei in solch einem Maße durch die Warmblutzucht und ihre Protagonisten geprägt.
Die deutsche Vollblutaraber-Zucht war bis in die 70er Jahre hinein von solchen Pferden geprägt, wie sie in Marbach gezüchtet wurden. Herausragende Sportpferde, egal in welcher Disziplin, waren nicht oder nur ausnahmsweise darunter. Sicherlich waren diese Pferde solide, gesund und verfügten über eine ordentliche Härte. Hochleistungssportler im Sinne dessen, was auf den Rennbahnen in Polen, Russland oder Frankreich gezeigt wurde, waren sie nicht.