Diesen Text habe ich Anfang 2010 verfasst und Ende 2013 nochmal ergänzt. Er basiert somit auf den bis dahin vorhandenen Erkenntnissen. Wesentliche neue Forschungsergebnisse haben sich nach meinem Kenntnisstand seither nicht ergeben.
Es hat sich im Laufe des Jahres 2009 gezeigt, dass eine erschreckend große Anzahl von arabischen Vollblütern mit dem Gendefekt Cerebelläre Abiotrophie (CA) behaftet ist.
Pferde, die ein CA-Gen tragen, sind gesund, können den Gendefekt aber vererben. Pferde, die zwei CA-Gene tragen, erkranken an diesem Gendefekt. Die meisten CA-kranken Pferde zeigen typische Symptome (Torkeln, Kopfzittern, Ataxien) bereits im Fohlenalter und müssen im Alter von wenigen Wochen oder Monaten eingeschläfert werden. Einige CA-kranke Pferde zeigen die ersten Symptome erst im Alter von zwei oder drei Jahren und können durchaus noch einige Jahre leben. Diese CA-kranken Pferde wurden/werden häufig nicht als solche erkannt, da man Ursache und Wirkung nicht eindeutig feststellen konnte (hat ein Unfall zur Ataxie geführt oder hat CA die Ataxie verursacht, die dann zum Unfall geführt hat). Sehr selten scheint es auch CA-kranke Pferde zu geben, die auch ausgewachsen keine (deutlichen) Symptome zeigen.
Cerebelläre Abiotrophie (CA) ist ein Gendefekt, der autosomal rezessiv vererbt wird. Das heisst, nur wenn beide Eltern den Gendefekt tragen, kann ein krankes Fohlen geboren werden.
Ein Pferd, welches ein Exemplar des mutierten Gens trägt, ist vollkommen gesund und kann nicht an dem Gendefekt erkranken, solch ein Pferd wird CA-Träger genannt. Ein Fohlen, welches zwei Exemplare des mutierten Gens besitzt, erkrankt an diesem Gendefekt. Es ist CA-krank.
Die Bezeichnung:
N/N = Frei, gesund, kann den Gendefekt nicht vererben
N/CA =Träger, gesund, wird den Gendefekt mit 50%iger Wahrscheinlichkeit vererben
CA/CA = erkrankt
Die Wahrscheinlichkeit der Erbverteilung:
CA frei (N/N) x CA-frei (N/N) = 100% CA-frei
CA frei (N/N) x CA-Träger (N/CA) = 50% frei – 50% Träger – 0% erkrankt
CA-Träger (N/CA) x CA-Träger (N/CA) = 25% frei – 50% Träger – 25% erkrankt
CA-erkrankt (CA/CA) x CA-frei (N/N) = 0% frei – 100% Träger – 0% erkrankt
CA-krank (CA/CA) x CA-Träger (N/CA) = 0% frei – 50% Träger – 50% erkrankt
Zur Geschichte von CA
Im Laufe des Jahres 2013 bin ich gelegentlich mit der Frage konfrontiert worden: warum ich überhaupt ein CA-krankes Fohlen in die Welt gesetzt habe?
Die Zeit rennt so schnell, dass manche es sich heute gar nicht vorstellen können: es gab vor 2009 gar keinen CA-Test und einen wirklich ausgereiften Test gibt es erst seit Januar 2011 (TOE1-Marker-Test). Bis dahin wurde bei manchen Züchtern evtl. ein „komisches“ Fohlen geboren, das nicht lebensfähig war. Es gab aber bereits gesunde Vollgeschwister zu dem Fohlen, also wurde dieses eine Fohlen als Schicksal abgehakt und die Anpaarung wiederholt. Und das nächste Fohlen war wiederum gesund. Schicksal eben.
Somit gab es vor 2009 auch kaum Informationen über diese Erkrankung.
Massgeblich mit dazu beigetragen, daß diese Erkrankung ab Anfang 2009 in’s Licht der Öffentlichkeit getragen wurde, hat der Besitzer des Hengstes Marajj, Sheikh Mohammed Bin Saud Al Qasimi. Nachdem von seinem Hengst ein CA-krankes Fohlen geboren worden war und der nagelneue Test der UC Davis (siehe unten) bestätigte, daß der Hengst CA-Träger ist, ist er umgehend mit dem Testergebnis an die Öffentlichkeit getreten und hat ab sofort nur noch CA-frei getestete Stuten für den Hengst akzeptiert, um ein weiteres krankes Fohlen zu verhindern.
Andere Hengstbesitzer haben dafür wesentlich länger gebraucht und es gibt bedauerlicherweise auch heute noch Hengstbesitzer (international), die behaupten ihr Hengst sei nicht getestet oder die sonst wie versuchen den CA-Status zu verschleiern.
Das Julchen wurde 2007 geboren, die Bedeckung habe ich also 2006 vorgenommen. Zum damaligen Zeitpunkt war CA überhaupt kein Thema. Nur so konnte es passieren, daß dieses Fohlen geboren wurde.
Testen, testen, testen
Wie geht man mit diesem Gendefekt um?
Meiner Meinung nach ist es falsch, CA-Träger von der Zucht auszuschlie?en. Wir Züchter leben schon so lange mit dem Gendefekt, daß es engstirnig wäre, den Genpool weiter zu verengen.
Die Lösung muß lauten: Testet Eure Pferde!!! So kann verhindert werden, daß zwei CA-Träger miteinander angepaart werden. Wenn keine CA-Träger miteinander angepaart werden, gibt es keine CA-kranken Fohlen.
Zu den Kosten: der Test kostet bei der TiHo Hannover 50 Euro pro Pferd. Wenn ich mir überlege, was Pferdehaltung im Allgemeinen kostet und Pferdezucht im Besonderen (Tupferprobe, Trächtigkeitskontrolle, Decktaxe, Impfungen), dann sollten DIESE 50 Euro wohl drin sein. Ausserdem reicht es ja nun wirklich, wenn man zunächst einmal die aktiven Zuchtpferde testet, u.U. erübrigt sich dann der eine oder andere Test ja.
Wo testen?
GeneControl GmbH
Senator-Gerauer-Str.23
85586 Grub
Tel: 089 / 9 44 19 69-0
Fax: 089 / 9 44 19 69-501
GeneControl GmbH
Die Firma GeneControl führt die Abstammungsüberprüfungen für alle Vollblutaraber in Deutschland durch. Dadurch ist DNA-Material von allen Vollblutarabern ab Geburtsjahr 1996 bei der Firma GeneControl vorhanden. Somit kann nur hier der CA-Test unter Angabe der Lebensnummer angefordert werden, ohne daß dem betreffenden Pferd nochmals Haare gezogen oder Blut abgenommen werden muß. Darüber hinaus ist durch diesen Weg die Authentizität des Probenmaterials gewährleistet, Verwechselungen sind somit unmöglich.
Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung
Stiftung tierärztliche Hochschule Hannover
z.Hd Prof. Dr. Ottmar Distl
Bünteweg 17p
30559 Hannover
Tel. 0511/953-8875
Fax: 0511/953-8582
Tierärztliche Hochschule Hannover
Veterinary Genetics Laboratory
University of California, Davis
One Shields Avenue
Davis, CA 95616-8744
Universität in Davis / Kalifornien
Was macht man mit einem CA kranken Pferd?
Ich selber kann mir nicht vorstellen, ein CA-krankes Pferd zu reiten, auch wenn die Symptome nicht besonders stark ausgeprägt sind. Irgendwann werden die Ausfälle stärker werden, irgendwann wird das Pferd stürzen und dann m?chte ich nicht drauf sitzen.
Ich behalte mein Julchen, solange sie sich nicht dramatisch verletzt und dann wird sie eingeschläfert. Sie steht mit meinem Jungvolk rum, wird versorgt, gefüttert, bekommt die Hufe gemacht, wird entwurmt, geimpft und bekommt zweimal die Woche ihre unglaublich lange und dichte Mähne entwirrt. Was soll ich sonst mit ihr machen?
Wenn jemand sein CA krankes Pferd als „Schlachtpferd“ eingetragen hat UND es sich nicht leisten kann oder will ein „nutzloses“ Pferd durch zu füttern, dann kann man es natürlich auch zum Schlachter bringen…..
Was machen die Zuchtverbände?
Der Zuchtverband VZAP hat auf der Mitgliederversammlung am 17.4.2010 folgendes zum Umgang mit CA beschlossen:
Alle ab dem Jahr 2010 neu einzutragenden Zuchtpferde (Hengste und Stuten) der Rasse Vollblutaraber müssen zur Eintragung einen CA-Test vorlegen.
Alle bereits zur Zucht eingetragenen Zuchtpferde der Rasse Vollblutaraber (Hengste und Stuten) müssen einen CA-Test bis Ende 2011 vorlegen.
Die Ergebnisse des CA-Tests der Hengste werden im Hengstverteilungsplan veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt analog zur Veröffentlichung des SCID-Tests.
Die Ergebnisse der CA-Tests aller Zuchtpferde sollen auf der Homepage des VZAP in einer Liste veröffentlicht werden.
Der Zuchtverband ZSAA hat per 27.10.2011 seine Zuchtbuchordnung neu gefasst:
12 Mitwirkungs Pflichten des Züchters
Um eine ordnungsgemäße Zuchtarbeit des ZSAA zu gewährleisten, ist jeder Züchter des ZSAA zur Mitarbeit gemäß der Zuchtbuchordnung und deren Grundlagen verpflichtet. Insbesondere zählen hierzu:
12.1 Tierschutz
Grundsätzlich ist bei der Zucht das Tierschutzgesetz zu beachten. Der Züchter hat sich laufend über erblich bedingte Krankheiten mit Leidensrelevanz bei seiner Rasse zu erkundigen. Vor der Paarung hat sich der Züchter beim Hengsthalter über den genetischen Status des Hengstes der relevanten Krankheitsmerkmale zu informieren. Der Hengsthalter ist zur Auskunft verpflichtet. Bei monogen rezessiven leidensrelevanten Merkmalen können heterozygote (Träger) Pferde in der Zucht Einsatz finden, wenn der Paarungspartner homozygot frei ist. Erkrankungen im Bestand des Züchters mit monogenetischem Hintergrund sind der Zuchtleitung anzuzeigen.
Das Julchen
Am 21.5.2007 bekomme ich ein Stutfohlen. Der 21.5. ist auch er Geburtstag meines Vaters. Mein Vater heißt Wilhelm mit Vornamen. Wilhelm auf Französich heisst Guillaume, auf Englisch Julian. So kam das Julchen zu ihrem Namen.
Sie ist wunderschön – wirklich wunderschön, korrekt, speziell die Schulter-Oberarm-Situation stellt eine deutliche Verbesserung der Mutterstute dar und verspricht ein hervorragendes Bewegungsvermögen (lange, schräge Schulter, Winkelung wie „aus dem Bilderbuch“). Zu meinem Erstaunen ist das Bewegungsverhalten, speziell der Vorhand, nicht zufrieden stellend. Die kleine Maus ist begrenzt in der Bewegung und schlurft gerne mit den Hufen über den Boden. Zwei TÄ werden befragt, der Osteopath konsultiert. Kein Ergebnis, die Kleine ist o.k., sie kann sich auch „ganz gut“ bewegen, nur wirkt sie etwas steif in der Schulter.
Als Jährling geht die Maus ins Schautraining, geht drei C-Schauen und gewinnt einmal ihre Klasse.
Als Zweijährige im Frühjahr fällt mir in Stressituationen ein minimales Zittern des Kopfes auf. Im Gespräch stellt sich heraus, dass andere dieses Zittern im Herbst zuvor, als Anderthalbjährige, schon mal beobachtet haben.
Im Sommer 2009 läuft die Kleine mal gegen einen Pfosten, man amüsiert sich, „man – kann die nicht richtig gucken“ und sie fällt irgenwann auch mal einfach mal hin. Ich beschließe, bei nächster Gelegenheit mal den Osteopathen auf die Maus schauen zu lassen, vielleicht ist ja ein Halswirbel ausgerenkt. Irgenwann läuft sie gegen eine auf dem Paddock rum stehende Schubkarre, aber das passiert schon mal mit Jungpferden.
Im August 2009 erfahre ich von den neuen Besitzern der Mutter, dass diese CA-Trägerin ist. Sofort ist mir klar, daß ich das Julchen testen lassen werde, falls ich sie je zur Zucht einsetzen sollte.
Am 21.9.2009 erfahre ich den CA-Status ihres Vaters WH Justice (ebenfalls CA-Träger) und finde den Link im deutschen Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zerebelläre_Abiotrophie
Nach dem Durchlesen der Symptome fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
Die Stichworte:
- „In manchen Fällen jedoch verläuft die Erkrankung so allmählich, dass Besitzer oder Pfleger kein Problem bemerken, bis das Pferd zwei oder drei Jahre alt ist“
- „ein Zittern des Kopfes (Intentionstremor)“
- „steife … Gangart aus der Schulter in die Vorhand“
- „schlechte Tiefenwahrnehmung und allgemeine Unfähigkeit, Raum und Entfernung einzuschätzen“
- „neigen dazu in feststehende Objekte zu rennen“
Ich bin fast vom Stuhl gefallen.
Der Gentest hat bestätigt, was ich nach dem 21.9.2009 und dem Lesen des o.a. Links „im Prinzip“ schon gewusst habe: sie ist Doppelgenträgerin, also CA krank bzw. CA affected.
Ich habe schon 2007 beschlossen gehabt, die Linie ihrer Mutter selber nicht weiterzuführen, sie wurde verkauft.
Das Julchen selber wollte ich für einen guten Preis verkaufen – sie ist schön, sie hat (kleine) Schauerfolge, sie hat eine prominente Abstammung. Nie bin ich auf die Idee, dass sie ernsthaft (genetisch !!!) krank sein könnte, gekommen.
Jetzt bleibt sie hier, solange es ihr noch gut geht, aber ich befürchte, dass sie sich irgendwann in absehbarer Zeit ernsthaft verletzen wird….
Für mich als Züchter eine Katastrophe, geschäftlich ein herber Verlust, als Pferdliebhaber … ein Pferd gezüchtet zu haben, zu besitzen, von dem man weiß, dass es nicht alt werden wird, das man nie reiten können wird, dass man nie in der Zucht einsetzen kann … reden wir nicht drüber.
Update vom 15.12.2010:
Das Julchen ist heute eingeschläfert worden. Sie hat die letzte Zeit Ihres Lebens in der Tierärztlichen Hochschule in Hannover verbracht. Dort wurde noch ein MRT gemacht, welches recht aufschlußreich ist. Ihr Kleinhirn ist deutlich verkleinert und erstaunlicherweise zeigt sie auch deutliche Läsionen im Großhirn; dies ist so erstaunlich, weil ihre Ausfälle bis zu letzt recht gering waren. Offensichtlich hat sie es gut gelernt, mit ihren Defiziten klarzukommen. Allerdings ist sie in den letzten Monaten zunehmend gefährlich im Umgang geworden, was mich dann auch recht kurzfristig zu der Entscheidung gebracht hat, sie einschläfern zu lassen bzw. sie an die Tierärztliche Hochschule abzugeben. Sie wurde gut dreieinhalb Jahre alt.
Rest in Peace, kleine Maus, es war Dir nicht vergönnt ein normales Pferdeleben zu führen…
Links
Welcome to the CA web Englische Homepage mit umfangreichen Informationen, Bildern Videos und einer Liste von getesteten Pferden (soweit die Besitzer das Ergebnis zur Ver?ffentlichung freigegeben haben).
Wikipedia: Zerebelläre Abiotrophie
Tierärztliche Hochschule Hannover mit Links, um die Formulare zum Test herunterzuladen.
Universität in Davis / Kalifornien mit Links, um die Formulare zum Test herunterzuladen (Englisch).