Nur ein Freizeitpferd?

Erst letztens habe ich auf die Antwort nach dem Kaufpreis eines meiner Pferde wieder die Antwort bekommen: „Das ist uns für ein Freizeitpferd leider zu viel…“.

Was ist eigentlich ein Freizeitpferd?

Was erwarten Sie davon? Was soll es mitbringen? Und was darf es kosten?

Unter einem Freizeitpferd versteht man i.d.R. ein Pferd, welches keinerlei Turnier- oder Wettkampfambitionen genügen soll. Es muss kein „Lampenaustreter“ sein, keine S-Dressur gewinnen können und auch kein M-Springen.

Es soll einfach „nur“ seinem Besitzer über viele Jahre ein Gefährte sein. Bisschen Dressur, ab und zu ausreiten, vielleicht mal ein Wanderritt, eine Reiter-Ralley oder eine E-Dressur mitlaufen. Die eigenen Kinder oder die Kinder der Freundin darf es auch mal durch die Gegend schaukeln und vielleicht auch den Freund/Lebensgefährten mal davon überzeugen, dass der Spruch „hinten schlagen sie, vorne beißen sie und in der Mitte fällt man runter“ nicht korrekt ist.

Das sind ja nun schon mal eine ganze Menge Anforderungen, die an ein Turnierpferd nicht gestellt werden. Außerdem soll „Ihr“ Pferd ja bei Ihnen alt werden. Es soll also lange „halten“. Für ein Turnierpferd ist das u.U. nicht so wichtig, wenn es den Anforderungen nicht mehr genügt, wird es eben gegen ein Neues ausgetauscht. Also „Ihr“ Pferd soll lange gesund und fit bleiben.

Gute Nerven soll es natürlich auch haben und man darf es auch nicht jeden Tag reiten müssen, sondern Sie wollen „Ihr“ Pferd auch mal 4 Wochen auf der Weide stehen lassen, um dann genau da weiter zu machen, wo sie zuvor aufgehört haben. Auch hier sind die Anforderungen an ein Turnierpferd nicht so hoch, charakterliche Mängel kann man einem „Lampenaustreter“ durchaus verzeihen, solch ein Pferd wird sowieso nur vom „Profi“ geritten.

Nun wollen Sie gerne ausreiten gehen. Da ist es sinnvoll, wenn „Ihr“ Pferd einen guten Schritt hat. Schließlich ist nichts lästiger, als wie wenn man auf einem Pferd sitzt, welches immer wieder antraben muss oder permanent zackelt, um mit den anderen mitzuhalten, weil der Körperbau einen raumgreifenden Schritt nicht ermöglicht. Auch der Trab und der Galopp sollen bequem zu sitzen sein. Nur ein Pferd, welches bequem zu sitzen ist, macht auf Dauer Spaß beim Reiten. Gerade auch als Freizeitpferd!

Daher meine Frage an Sie: sind Sie in der Lage, ein Pferd vom Körperbau her zu beurteilen? Können Sie eine große, gut angelegte Schulter erkennen? Sehen Sie einen zu kurzen Oberarm? Können Sie beurteilen, ob das Pferd mit seiner Hinterhand in der Lage sein wird, unter den Schwerpunkt zu treten, oder ob es das nicht kann und daher immer die Tendenz haben wird auf der Vorhand zu latschen und daher vorzeitig zu verschleißen?

Wenn Sie Glück haben, dann wird „Ihr“ Pferd seinen mangelhaften Schritt durch unglaublichen Fleiß ausgleichen können. An einem unbequemen Galopp kann man eventuell arbeiten (arbeiten! – wollen Sie nicht freizeitreiten?), können Sie ein Pferd korrektur-reiten? Gerade bei den Vollblutaraber gibt es leider immer wieder Pferde, die Probleme mit dem Kreuzgalopp haben und diesen dann auch im Freilauf zeigen. Können Sie das erkennen und sind Sie sich darüber im Klaren wieviel Arbeit es bedeuten kann, diesem Pferd einen richtigen Galopp beizubringen?

Wie oft wurde „Ihr“ Pferd in der Jugend entwurmt, wurde es überhaupt entwurmt? Verwurmung schon in jungen Jahren kann zu massiven Schädigungen im Darm führen, die sich dann später(!) durch Verdauungsprobleme bis hin zu Koliken äußern können. Haben Sie die notwendigen Rücklagen dafür bereits beim Kauf eingeplant?

Wie sehen die Hufe aus, wie oft wurden diese bearbeitet? Ist „Ihr“ Pferd viel auf hartem und/oder weichem Boden gelaufen? Hat es eine kurze oder eine lange Zehe? Sind die Wände steil oder flach, gleich oder unterschiedlich? Sind die Hufe im Verhältnis zur Größe und zum Kaliber des Pferdes sowie zu den Beinen groß oder klein? Können Sie das erkennen, beurteilen und werten?

Wenn bei einem Jungpferd die Hufe nicht korrigiert wurden und es viel auf weichem Boden gelaufen ist, dann kann es sein, dass durch die lange Zehe bereits in jugendlichem Alter der Hufrollenmechanismus überansprucht wurde, das Pferd mit 5 Hufrollenprobleme bekommt und mit 8 „platt“ ist. Wollen Sie das in Kauf nehmen?

Wie Sie sehen, kann beim Kauf eines „billigen“ nur-Freizeitpferdes einiges schief laufen. Woran hat der (Auf-)Züchter gespart, dass er Ihnen das Pferd so billig anbieten kann? Ach so, es ist ein Importpferd aus dem Osten? Haben Sie da die Gewähr, dass es optimal aufgezogen wurde?

Natürlich können Sie Glück haben. Sie bekommen – weil der Markt übersättigt ist und es ganz einfach zu viele Pferde gibt – ein perfekt aufgezogenens, gesundes Pferd mit gutem Bewegungsvermögen zum Schnäppchenpreis. Andererseits höre ich von allen Seiten immer wieder, dass gute Pferde immer noch ihren Preis haben.

Daher mein Rat: legen Sie lieber die monatlichen Ausgaben für „Ihr“ Pferd ein Jahr lang zurück und kaufen Sie sich dann ein gutes Pferd, damit es dann auch wirklich „Ihr“ Freizeitpferd wird.

Mein erstes arabisches Pferd – SAJAN

Sajan war ein Vollblutaraber und wurde 1991 im polnischen Staatsgestüt Janow Podlasky gezüchtet. Drei-einhalb-jährig kam er über einen Händler (den es schon viele Jahre nicht mehr gibt) nach Deutschland. Seine erste Besitzerin hatte sich überschätzt, sie hatte nicht die Zeit ihn einzureiten. Seine zweite Besitzerin war mit ihm überfordert. Seine dritte Besitzerin war eine sehr feinfühlige Western-Trainerin. Sie hat ihn sehr gut ausgebildet und er ist ein paar wenige Turniere in Einsteiger- und Amateur-Klassen mit Platzierungen gelaufen.

8-jährig habe ich ihn gekauft, mit einer sog. „kleinen“ Ankaufsuntersuchung. Aufgrund seiner sehr guten Ausbildung hatte er einen aus heutiger Sicht durchaus stolzen Kaufpreis (also nix „billiges Importpferd“). Wir hatten viel Spaß zusammen, gingen viel ins Gelände, nahmen an ein paar Reiterralleyes teil und mit ihm erlebte ich einen traumhaften Wanderritt durch Mecklenburg-Vorpommern im Spätsommer 2002. Er war charakterliche ein Traum, mein Kumpel, mein Freund, mein Henkel zum festhalten.

Sajan war in der Schulter etwas knapp, daher war sein Schritt nicht wirklich raumgreifend. Dies hat er durch einen enormen Fleiß wettgemacht. Sein Trab war angenehm, sein Galopp sehr, sehr unbequem, wurde aber im Laufe der Jahre durch konsequente Arbeit immer besser.

Ab Herbst 2002 hatte er mehrfach leichte Koliken, die jeweils ambulant durch meine Tierärztin mit Krampflösern behandelt werden konnten. Da war er 11 Jahre alt.

Im Frühjahr 2004 begann er zu lahmen und die Diagnose lautete „Hufrollen-Syndrom“, zu dem Zeitpunkt war er gerade mal 13. Er wurde mit Tildren behandelt und nur noch sporadisch geritten.

Am 3. Juli 2005 kolikte er sehr ernsthaft und wurde operiert. Am 17. Juli, nach seiner Rückkehr aus der Klinik, hatte er die nächste schwere Kolik und ich ließ ihn schweren Herzens einschläfern. Er wurde nur 14 Jahre alt.

Ich weiß nichts über seine Jugend. Ich weiß nichts über den Status seiner Hufe als junges Pferd. Ich weiß nicht, ob er in Polen überhaupt entwurmt wurde und nichts über seinen Entwurmungs-Rhythmus, bevor er zu mir kam. Zufall? Schicksal? Oder Defizite in der Aufzucht? Ich weiß es nicht…

Fazit

Ein Freizeitpferd ist also ein Pferd, welches eine ganze Reihe an Eigenschaften mitbringen muss, die ein Hochleistungs-Sportpferd nicht in dem Maße benötigt.

  • Gesundheit
  • gute Nerven
  • einwandfreier Charakter

und – das benötigt ein Sportpferd auch

  • guter Körperbau

Alle diese Eigenschaften, wenn sie denn vorhanden sind, machen die Zucht und Aufzucht eines “Freizeitpferdes” nicht billiger, als die eines Sport- bzw. Turnierpferdes. Ganz im Gegenteil!

Ich möchte Sie durch diesen Beitrag nicht dazu überreden, bei mir ein Pferd zu kaufen. Möglicherweise habe ich sowieso nicht das Passende für Sie. Aber vielleicht denken Sie mal darüber nach, ob es nicht vielleicht sinnvoll ist, bei einem verantwortungsvollen Züchter ein mit Sachverstand gezüchtetes Pferd (das fängt nämlich schon bei der Auswahl der Zuchtpferde und den Überlegungen zur passenden Anpaarung an) aus kompetenter Aufzucht zu kaufen. Auch wenn es woanders billiger geht. Geiz ist nämlich nicht immer geil, gerade in der Pferdezucht nicht.

Und bilden Sie sich weiter! Machen Sie sich zum Fachmann für Exterieur-Beurteilung, sammeln Sie alles an Informationen, was Sie finden können. Es gibt viele Fachbücher, es gibt haufenweise Informationen im Internet. Dann erkennen Sie u.U. schon aufgrund von Fotos in einer Verkaufsanzeige, warum das angebotene Pferd so günstig ist und/oder warum es für Sie überhaupt nicht in Frage kommt!