Der Vollblutaraber ist eine fantastische Pferderasse, jeder, der diese Pferde liebt, wird das bestätigen.
Trotzdem bekommt man im Netz, wenn man sein neues Pferd vorstellt, manchmal die Reaktion „bäh – der ist ja aus Showlinien“. Was bedeutet das und warum kann das problematisch sein? Und woran erkenne ich, ob mein Pferd aus Show-Linien stammt oder nicht?
Betrachten wir einmal die Zucht der vergangenen 30 Jahre. Bis Anfang der 1990er Jahre waren Vollblutaraber schöne, leistungsfähige Pferde. Viele Pferde liefen im Sport, bis 1989 mussten Hengste in Deutschland vor dem Zuchteinsatz gekört werden und eine Hengstleitungsprüfung (HLP) ablegen. Ein Hengst wie der russische Vollblutaraber Drug konnte im selben Jahr sowohl Europachampion auf der Show als auch „Racehorse of the Year“ werden.
Seither hat eine extreme Spezialisierung statt gefunden. Das amerikanische Show-Wesen schwappte nach Europa. Der Markt im nahen und mittleren Osten dominiert mittlerweile die internationale Zucht. Vollblutaraber werden seither häufig nicht geritten, sondern nur für die Show gezüchtet und gehalten.
Reiteignung ist kein Zuchtziel
Bei Züchtern, die ihre Zucht auf Show-Pferde ausgerichtet haben, werde die Zuchtpferde bereits seit Generationen nicht geritten. Wir reden hier nicht über den Vater oder Großvater, sondern über 3-5 Generationen. Gerade bei den Vätern ist es häufig so, dass junge „vielverprechende“ Show-Hengste eingesetzt werden, so dass hier alle 4-6 Jahre ein Generationen-Wechsel stattfindet – wenn nicht sogar noch schneller, da bereits 2-jährige zur Zucht eingesetzt werden.
Aufgrund dieser Tatsachen, stellt sich die Frage, ob Pferde aus Show-Pferde-Zucht leistungsfähige Reitpferde sein könnten oder nicht. Natürlich können die meisten geritten werden – jedes gesunde Pferd kann geritten werden. Aber man kann nicht vorhersagen, wie belastbar das Pferd sein wird, wie lange es „hält“ oder für welche Sparte der Reiterei es geeignet sein könnte.
Probleme mit der Gesundheit
So kann es gesundheitliche Probleme zum Beispiel mit Knie-Zysten, Kissings Spines, frühzeitiger Arthrose oder anderen Einschränkungen geben.
Die Veranlagung für solche Schäden kann vererbt werden. Bei einem Pferd, das nie geritten wird und nur zur Zucht eingesetzt wird, fällt sowas garnicht auf, es lahmt ja nicht, weil es nicht belastet wird.
Kommt die Nachzucht dann unter den Sattel fängt das junge Reitpferd dann früher oder später an zu lahmen oder lässt sich nicht reiten. Manches kann man (teuer) operieren lassen, einige Pferde sind eingeschränkt irgendwie reitbar, viele dieser Pferde führen aber ein Leben als Frührentner.
Verfeinerung als Zuchtziel
Dazu kommt noch ein weiterer Trend in den letzten Jahren: Show-Pferde werden immer feiner. Die Köpfe werden kleiner, die Knochenstruktur verändert sich. Ein kleiner, feiner Kopf steht im Zusammenhang mit feineren, dünneren Beinen. So ist ein Röhrbein-Umfang von 19, 20 oder sogar 21cm, den es vor einigen Jahrzehnten noch gab, beim Vollblutaraber inzwischen die absolute Ausnahme.
In diesem Zusammenhang werden auch die Gelenke tendenziell kleiner. Sie sind schwächer ausgeprägt und die Gelenk-Auflage-Flächen verringern sich, wodurch die Gelenke weniger belastbar sind.
Auch lange, weiche Fesseln kommen immer häufiger vor, führen zu Durchtrittigkeit und schränken eine reiterliche Nutzung ein.
Als weiterer Punkt können dann noch Zahnprobleme dazu kommen. Durch Zucht-Selektion werden zwar die Köpfe kleiner, aber die Zähne schrumpfen nicht in gleichem Maße. Das kann dann dazu führen, dass die Zähne im Kiefer nicht genügend Platz finden und das Pferd Probleme beim Kauen hat, von Problemen mit dem Gebiss bzw. der Anlehnung beim Reiten mal ganz abgesehen.
Bei einem Fohlen oder Jungpferd kann man zwar bezüglich des Körpers und des Fundaments einen ersten Eindruck bekommen, man kann schon erkennen, ob das Pferd „zierlich“ oder „ein Brecher“ ist. Auch kann man bereits das Verhältnis von Röhrbein-Länge zum Oberarm erkennen. Aber ob das Pferd später Zahnprobleme bekommen wird, oder wie sich Körperbau und Fundament abschließend entwickeln werden ist schwierig voraus zu sagen. Dafür braucht man viel Erfahrung und müsste sich Eltern und Großeltern kritisch anschauen.
Ja, aber die Noten?
Auf Araber-Shows werden unter anderem auch der Körper, die Beine und die Bewegungen benotet. Diesen Noten sollte man aber bitte keine Bedeutung beimessen.
Die höchste Bewegungsnote bekommt häufig das Pferd, welches am spektakulärsten rumhampelt.
Die Noten für Körper und Fundament werden von den Richter genutzt, um Pferde nach vorne oder hinten zu rangieren. Ein Pferd mit einer 16 im Fundament kann genauso krumme Beine haben als ein Pferd mit einer 14, wenn der oder die Richter das eine Pferd vorne sehen wollen.
Kaufpreis & „Show-Ausschuss“
Pferdehaltung ist teuer, Pferdezucht ist sowieso teuer.
Ein Hengst kann viele Stuten decken. Nur die besten Hengste gehen in die Zucht.
Für einige Züchter von Show-Pferden gilt „die Masse macht’s“. Sie produzieren möglichst viele Fohlen von den angesagten Mode-Hengsten in der Hoffnung, den einen Super-Kracher zu züchten.
Die Hengstfohlen, die keine Show-Qualität haben, sind überzählig und haben für einen Züchter, der sich auf Show-Linien spezialisiert hat, keinen Wert. Je länge er diese im Stall behält, desto mehr kosten sie ihn.
Stutfohlen werden i.d.R. teurer verkauft, schließlich kann man ausgewachsen mit ihnen züchten oder sie als Empfänger-Stute im Embryo-Transfer einsetzen.
Die Hengstchen aber werden für den Züchter immer teurer ohne dass sie im Wert steigen. Daher ist es für viele Züchter am billigsten, sie nach dem Absetzen so schnell wie möglich vom Hof zu bekommen. Und wenn sie verschenkt werden – Hauptsache, sie müssen nicht über den Winter gefüttert werden. Zum Teil gehen sie dann zu Händlern, die dann gerne auf die Tränendrüse drücken „wenn du den nicht kaufst geht er nächste Woche zum Schlachter“.
Diese kleinen Hengste sind häufig hübsch und niedlich, so dass man sich schnell verlieben kann. Der Kaufpreis ist günstig, man kann eine kleine Seele retten, also warum nicht? Mögliche Probleme für den späteren Einsatz als Reitpferd lassen sich nicht erkennen, die kommen ggfls. erst später.
Es geht immer um Wahrscheinlichkeiten
Auch aus reinen Show-Linien können ordentliche Reitpferde kommen. Auch aus Leistungslinien kann gelegentlich ein Pferd entstehen, welches für keine Belastung geeignet ist. Es geht immer um Wahrscheinlichkeiten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man ein zukünftiges gesundes Reitpferd kauft ist einfach sehr viel größer, wenn Eltern und Großeltern bzw. Geschwister und nahe Verwandte nachweislich geritten werden/wurden und bestenfalls sogar Erfolge im Sport vorweisen können.
Die Wahrscheinlichkeit, ein Pferd mit Problemen bezüglich der Eignung als Reitpferd zu bekommen, ist sehr viel größer, wenn die Vorfahren bereits seit Generationen nicht geritten wurden.
Name-Dropping
Folgende Hengste sind Beispiele für typische Vertreter der Show-Pferde-Zucht:
- WH Justice
- Ajman Moniscione
- Shanghai EA
- Marwan al Shaqab
- EKS Alihandro
- RFI Farid
- FA el Rasheem
- QR Marc
- Hariri al Shaqab
- Fadi al Shaqab
- Dominic M
- HL el Ganador
- die Liste ist unvollständig!
Wenn mehrere dieser Hengste, vielleicht sogar noch doppelt oder dreifach, in der Abstammung eines Pferdes auftauchen, kann man von einem Pferd aus „Show-Linien“ sprechen.
Wird ein solcher Hengst mit einer soliden Stute angepaart, so kann es sein, dass dabei ein hübsches aber durchaus noch solides Pferd heraus kommt. Daher ist es immer auch wichtig, sich die Mutterlinie anzusehen.
So gibt es von WH Justice, der selber schlechte Vorderbeine und eine tiefe Rückenlinie hat, durchaus korrekte und rittige Nachkommen. Ich selber habe ihn auf soliden, russischen Stuten eingesetzt und war mit seinen Kindern und Enkeln (aus ebenfalls soliden Stuten) sehr zufrieden.
Fazit
Man muss immer das Individuum ansehen und sollte sich mit Pferde-Beurteilung sehr gut auskennen, wenn man ein Pferd aus Show-Linien kaufen möchte und es später reiten will.
Bei einem Pferd aus geprüften Leistungslinien ist die Gefahr, eine Enttäuschung zu erleben, SEHR viel geringer!